True Crime Podcast: Die Zeit Verbrechen über falsche Plagiatsvorwürfe und verdächtige Todesfälle
An True-Crime-Podcasts fehlt es wahrlich nicht – jede Menge neuer Audioshows zum Thema sind in den vergangenen Jahren entstanden. Unter den deutschsprachigen Podcasts, die sich mit realen Verbrechen beschäftigen, ist der Talk von Sabine Rückert, der stellvertretenden Chefredakteurin von Die Zeit, und dem Leiter des Wissenschaftsressorts des Blattes Andreas Sentker mein Favorit: Spannende Themen, interessante Gäste, ansprechende Präsentation, eine lohnenswerte Ergänzung zur Crime-Berichterstattung in der Wochenzeitung und im Magazins Zeit Verbrechen.
Meine besondere Empfehlung gilt einem medizinischen Kriminalstück – der Episode 126 mit dem Titel „Der Hinterhalt“, in der Anne Kunze bei Sabine Rückert und Andreas Sentker zu Gast ist. Die Kriminalreporterin der Wochenzeitung berichtet über ihre Recherchen in einem Fall, der einen prominenten Medizinprofessor und sein Team, einen problematischen niedergelassenen Mediziner und notorische „Plagiatsjäger“ involviert und so viele überraschende Wendungen bringt, dass ein fiktionaler Krimi damit schon fast überladen daher kommen würde.
Ein Plagiatsvorwurf löst sich in Luft auf
Zunächst scheint es einfach um einen weiteren Plagiatsfall zu gehen: Sogenannte Plagiatsgutachter beschuldigen den Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Medizinischen Fakultät der LMU München, Prof. Matthias Graw, seine 1987 an der Hamburger Universität abgeschlossene und eingereichte Dissertation über das Alkaloid Colchicin sei ein unerhörter Fall von Plagiat. Nicht nur große Teile des Textes, sondern auch die Abbildungen habe er aus einem internationalen Kongressband einfach übernommen . Einige Medien berichten über die Vorwürfe, ohne ihrer Substanz selbst nachzugehen, Graw weist die Vorwürfe als „grob falsch“ zurück. Die Ombudsstelle für gute wissenschaftliche Praxis der Universität Hamburg befasst sich mit der Causa und kommt recht rasch zum Ergebnis, dass es sich tatsächlich um keinen Plagiatsfall handelt, sondern um einen unglaublich aufwändig betriebenen Versuch des Rufmords. Der angebliche Kongressband, aus dem Grawe abgekupfert haben soll, ist nie erschienen, sondern wurde speziell für die „Plagiatsprüfung“ hergestellt.
Was die „Plagiatsjäger“ alles übersehen haben
Dabei sind trotz allem Aufwand einige grobe Fehler passiert, die der Uni Hamburg wohl rasch, nicht aber den „Plagiatsjägern“ aufgefallen sind. Zum Beispiel, dass in einer Fussnote eine Arbeit zitiert ist, die erst nach Erscheinen des angeblichen Sammelbandes publiziert wurde. Oder auch, dass sinnenstellende Übersetzungsfehler vorkommen. Und, dass das Impressum nicht mit dem von anderen Publikationen des VEB Verlag Volk und Gesundheit in der DDR, in dem der Tagungsband angeblich erschienen sein soll, zusammenpasst.
Nicht stutzig gemacht hat die „Plagiatsgutachter“ aber auch, dass just nur Autorinnen und Autoren zum Band beigetragen haben sollen, die schon verstorben sind, oder dass das angebliche wissenschaftliche Werk nur bei Ebay – wohl in einem eigens dafür kreierten Shop – zu finden ist, nicht aber bei bekannten und seriösen Gebrauchtbuch-Plattformen und schon gar nicht in wissenschaftlichen Datenbanken wie PubMed oder dem Chemical Abstracts Service der American Chemical Society. Nach den klärenden Enthüllungen der Hamburger Ombudsstelle ist die versuchte Existenzzerstörung also erst einmal abgesagt, die „Plagiatsjäger“ sind blamiert. Das alles ist für sich schon eine spannende Geschichte.
Der Mann im Hintergrund und weitere sonderbare Vorkommnisse
Aber Anna Kunze möchte es noch genauer wissen: Sie findet heraus, wer die „Plagiatsgutachter“ beauftragt und bezahlt hat. Sie gerät in ihren Recherchen an einen weiteren Arzt, stößt auf einen Mordverdacht, in dem die Münchner Gerichtsmedizin eine gutachterliche Rolle spielt, auf weitere abenteuerliche Vorwürfe gegen die bayrischen Forensiker, die wohl ebenso konstruiert sind wie der „Tagungsband“, und in denen es um gestohlenes Zahngold und um eine angebliche Shoah-Überlebende geht.
Abolsute Hörempfehlung – und Leseempfehlung gleich dazu: Der ausführliche Bericht zu den Recherchen Anne Kunzes („Ein Professor soll vernichtet werden“) ist im Dezember 2022 in der ZEIT Nr. 49/2022 erschienen.