Sabine Fitzek: Kommissar Kammowski ermittelt in der Welt der Medizin
Dr. Sabine Fitzek ist Neurologin in Berlin und Krimi-Autorin. Fünf Romane mit dem Berliner Kommissar Matthias „Matze“ Kammowski sind bisher erschienen, in denen Sabine Fitzek hochaktuelle und brisante Themen aus dem Gesundheitswesen spannend aufbereitet und Missstände gekonnt in Krimihandlungen verpackt. Man merkt es den Büchern an: Diese Autorin kennt die Probleme genau und aus eigener Anschauung, über die sie schreibt. Hier geht es zu einem ausführlichen Interview mit der Autorin.
Eine unbedingte Leseempfehlung für alle fünf Bände, wobei der erste Fall „Verrat“ und der letzte „Vergänglich“ meine persönlichen Favoriten sind. Alle fünf Bände sind übrigens auch als Hörbuch erschienen. Ein gemeinsames Fazit zur Krimi-Reihe: Sabine Fitzek hat hervorragend recherchierte, authentische und zugleich spannende Romane vorgelegt. Wer Medizinkrimis mag, die nicht im Klischee haften bleiben, wird mit den Geschichten um Kommissar Kammowski viel anfangen können. Wer jenseits der Kriminalfälle das deutsche Gesundheitssystem und seine Probleme und Unzulänglichkeiten verstehen will, profitiert von Sabine Fitzeks Sachverstand, Erfahrung und Beobachtungsgabe. Die fünf Romane muss man nicht in der Reihenfolge des Erscheinens lesen, die Kriminalfälle stehen für sich und sind auch ohne Vorgeschichte verständlich. Um beim Privatleben des Ermittlers so richtig innerlich mitgehen zu können, macht die chronologische Lektüre aber mehr Spaß.
In ihren Krimis beschäftigt sich Sabine Fitzek mit gesellschaftlich höchst relevanten Themen und greift Defizite des deutschen Gesundheitssystems auf. Der wirtschaftliche Druck, denen Klinikärzte ausgesetzt sind, Gewinnoptimierung mit nicht immer legalen Mitteln, die Konzernisierung der Medizin, die großen Probleme in der Versorgung psychische kranker Menschen, Betrug mit ge- oder verfälschten Arzneimitteln, Patientenmorde durch medizinisches Personal, assistierter Suizid und Sterbehilfe oder Verschwörungserzählungen – kein heißes Eisen wird ausgelassen. Und das in kurzweilige, interessant konstruierte Geschichte mit immer wieder überraschenden Wendungen verpackt.
Dem etwas muffigen – in Österreich würden wir ihn wohl grantig nennen – Kommissar Kammowski, der sich aber letztlich doch als recht verständnisvoller und sympathischer Zeitgenosse entpuppt, begegnet man nach der ersten Geschichte gern wieder, ebenso wie seiner Kollegin Svenja Hansen oder seiner Freundin Christine. Weiteres Stammpersonal sind Kammowskis Kinder Charlotte und Anian in, je nach Geschichte, mehr oder weniger tragenden Rollen.
Verrat
Mit dem Roman „Verrat“ tritt der Kriminalbeamte Matthias Kammowski 2019 erstmals auf den Plan. Die Geschichte ist inspiriert von einem großen Abrechnungsskandal, der 2010 das Berliner Gesundheitssystem erschütterte. Gegen rund 140 Ärztinnen und Ärzte ermittelte damals die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Betrug in Medizinischen Versorgungszentren. Von einer ähnlichen Ausganslage entwickelt Sabine Fitzek überraschende Wendungen und eine Auflösung, die eine viel komplexere Verflechtung enthüllt als es anfangs scheint.
Hauptkommissar Matthias Kammowski ermittelt in diesem Band erstmals in der Berliner Versorgungslandschaft. Kaum aus dem Urlaub auf Kuba zurück in Berlin, muss er sich nicht nur an eine neue, junge Kollegin gewöhnen, sondern auch mit einem brisanten Mordfall beschäftigen. Der Geschäftsführer eines katholischen Klinikunternehmens wurde unter unklaren Umständen tot in einem Berliner Hotel aufgefunden. Und er wird nicht das einzige Opfer bleiben, das gewaltsam zu Tode kommt. Auch ein etwas dubioser Privatdetektiv und der heimliche Liebhaber des ersten Opfers werden ermordet. Aber wie hängen die Fälle zusammen und was steckt dahinter? Kammowski bekommt Besuch von der Journalistin Christine von ##, einer alten Freundin, deren Mann ebenfalls für ein Ordensklinikum gearbeitet und sich nach schweren Anschuldigungen und der Entlassung selbst das Leben nimmt. Doch Christine gerät selbst unter Verdacht, den Suizid ihres Mannes gerächt zu haben, während sie darauf besteht, einer mafiosen Zuständen und einer unglaublichen Verschwörung im Berliner Gesundheitssystem auf der Spur zu sein. Als Christine nur knapp einem Anschlag auf ihr Leben entgeht, erscheinen ihre Anschuldigungen in einem anderen Licht.
Verrückt
2020 erschienen, greift „Verrückt“, der zweite Roman der Reihe mit viel Tiefgang, einige schwierige Fragen auf: Wie kann und soll die Medizin – und die Gesellschaft – mit psychisch kranken Menschen umgehen, die eine Behandlung ablehnen? Und wie viel haben Vorurteile über die mögliche Gefährlichkeit psychisch Kranker mit der Realität zu tun? Sind sie potenzielle Täter und nicht vielmehr häufig selbst Opfer?
Der Fall, in dem die Autorin tiefe Einblicke in die Welt der Psychiatrie gibt, beginnt mit dem schockierenden Fund der 14-jährigen Lena, die ermordet und wie Schneewittchen aufgebahrt in einem Berliner Park liegt. Hauptkommissar Matthias Kammowski übernimmt wieder die Ermittlungen. Und rasch steht ein ungewöhnlichen Verdächtigen im Fokus des Interesses: Oliver Beckmann, den Sohn von Kammowskis Nachbarin, der an paranoider Schizophrenie erkrankt ist. Oliver scheint tief in seinen Wahnvorstellungen gefangen und war schon mehrfach in einer psychiatrischen Klinik – wegen fehlender Eigen- oder Fremdgefährdung allerdings immer nur kurz, da er eine Behandlung vehement ablehnt. Als ein weiteres Mädchen aus Olivers Umfeld verschwindet, stellt sich nicht nur Kammowski die Frage: Hat das System Psychiatrie hier versagt?
Auch in diesem Fall gehört es wieder zu den Stärken des Romans, dass Sabine Fitzek ihr Fachwissen nutzt, um realistische Einblicke in die Herausforderungen der Psychiatrie zu geben, einschließlich verweigerter Therapien, Behandlungen gegen den Willen von Patientinnen und Patienten und Personalmangel im Gesundheitswesen. Sie zeichnet Kammowski als Ermittler, der von diesem Fall besonders berührt wird. Durch geschickte Wendungen und unerwartete Ermittlungsergebnisse bleibt der Spannungsbogen die gesamte Geschichte hindurch aufrecht, ohne rasantes Tempo, bedacht und manchmal fast bedächtig.. Rückblicke in das Leben des Opfers geben dem Leser einen Wissensvorsprung gegenüber den Ermittlerinnen und Ermittlern und erzeugen zusätzliche Spannung.
„Verrückt“ ist ein gelungener Medizinkrimi, der nicht nur durch den spannenden Fall überzeugt, sondern auch durch seinen authentischen Einblick in die Psychiatrie.
Verstorben
In ihrem dritten Medizinkrimi „Verstorben“ greift Sabine Fitzek ein brisantes und hochaktuelles Thema auf: Morde im Krankenhaus. Die Geschichte, 2021 erschienen, ist inspiriert von dem realen Fall des Intensivpflegers Niels Högel, der zwischen 1999 und 2005 in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst zahlreiche Patientinnen und Patienten im Dienst ermordete. Untersucht wurden mehr als 300 Fälle, verurteilt wurde Högel schließlich wegen mehr als 80 Morden und zahlreichen Fällen von Körperverletzung.
„Verstorben“ spielt im Berliner Krankenhaus Moabit. Seit einem Jahr landen immer wieder Eingaben bei der Berliner Staatsanwaltschaft. Kerstin Lauterbach unterstellt dem Pfleger Maik Thomasson, ihre Mutter getötet zu haben – nur hat sie dafür keine Beweise. Als gegen Thomasson anonym neue Vorwürfe vorgebracht werden, die von medizinischen Kenntnissen zeugen, wird Kommissar Kammowski gebeten, zunächst diskret ein paar Nachforschungen anzustellen. Die Anschuldigungen gewinnen an Brisanz, als eine verwirrte alte Dame nach einer knapp überlebten Reanimation einen Pfleger mit „krüppeligen Ohren“ beschuldigt, ihr etwas gespritzt zu haben. Thomasson hat tatsächlich auffällige Ohren, aber er gilt als besonders kompetent. Kann an diesen bizarren Vorwürfen etwas dran sein?
Kammowski und seine Kollegin Svenja Hansen ermitteln in einem Umfeld, in dem Kolleginnen und Kollegen des Pflegers Auffälligkeiten bewusst werden und das Spitalsmanagement die Sorge um einen Skandal umtreibt. Die Kriminalisten stoßen auf ein perfides Verbrechen: Wo schwer kranke Menschen betreut werden sollen, schwingt sich jemand zum Herren über Leben und Tod auf.
Sabine Fitzek überzeugt auch in diesem Fall durch ihre profunde Kenntnis des Krankenhausbetriebs. Sie beleuchtet einmal mehr Missstände wie Personalmangel und unrealistische Betreuungsschlüssel. Gelungen sind die verschiedenen Erzählperspektiven, die Einblicke in die Gedankenwelt des Täters, der Ermittler und der Betroffenen geben. Neben der Krimihandlung werden ethische Fragen aufgeworfen und die möglichen Beweggründe eines Mörders im medizinischen Umfeld beleuchtet. Die Autorin vermittelt die dramatische Thematik verständlich und emotional packend.
Vertuscht
Auch beim vierten Band „Vertuscht“, erschienen 2022, stand ein tatsächlicher Medizinskandal Pate für die fiktive Geschichte von Sabine Fitzek – der Bottroper Arzneimittelskandal, der 2016 aufgedeckt wurde. Whistelblower brachten die Ermittler auf die Spur. Der Eigentümer einer sogenannten Schwerpunktapotheke für Krebsmedikamente hatte jahrelang Zytostatika „gestreckt“, die betroffenen Patientinnen und Patienten erhielten also stark unterdosierte Medikamente.
In „Vertuscht“ ermitteln wieder Kommissar Matthias Kammowski und Svenja Hansen, den Mord an Emma, einer jungen Apothekenhelferin. Zunächst scheint ein Mord im Drogenmilieu nahe zu liegen: Emmas Leiche wird mit Morphium im Blut und abgetrenntem kleinem Finger gefunden. Die Befragungen von Emmas Kolleginnen und Kollegen und ihres Chefs Detlef von Theising, Inhaber einer traditionsreichen und offenbar recht lukrativen Apotheke in Berlin-Köpenick führen zunächst in eine Sackgasse. Die Kolleginnen munkeln, Emma hätte eine Affäre mit dem Chef gehabt, dich dieser zeigt sich ehrlich geschockt und versichert, die junge Mitarbeiterin sei wie eine Tochter für ihn gewesen. Alle Verdächtigen haben wasserdichte Alibis. Die Ermittlungen bewegen sich kaum voran, bis sich herausstellt, dass Emma einer brisanten Sache auf der Spur war – einem Geheimnis, das sie nicht einmal ihrem Freund anvertraute.
Auch der vierte Band der Reihe ist ein überzeugender, authentischer und glaubwürdiger Medizin-Krimi, der durch seine Authentizität und Aktualität besticht. Die Geschichte ist spannend entwickelt und bietet interessante Einblicke in die Welt der Apotheken und Arzneimittel.
Vergänglich
Schwere neurologische Erkrankungen, Schweizer Sterbehilfevereine und die Debatte um assistierten Suizid, Schwurbler, Verschwörungserzählungen und fragwürdige Heiler stehen im Mittelpunkt des fünften Bandes „Vergänglich“, erschienen 2023. Der Mitarbeiter eines Pflegedienstes findet seinen Klienten tot in seiner Wohnung. Für die Ermittler sieht auf den ersten Blick alles nach einer assistierten Selbsttötung mithilfe eines Schweizer Vereins für Sterbehilfe aus – der 72-jährige Theodor von Hausmann war unheilbar an ALS erkrankt und hat einen Abschiedsbrief hinterlassen.
Doch seine Tochter ist fassungslos: Ihr Vater wollte, dass sie an seiner Seite ist, wenn er den aus der Schweiz geholten tödlichen Medikamentencocktail einnimmt. Ein Apartment am Meer hat er dafür bereits gebucht. Auch weitere Indizien sprechen zunehmend dafür, dass von Hausmann sich nicht selbst das Leben genommen hat. Aber wer würde einen Mann ermorden, der seinen eigenen Tod bereits geplant hat?
Während Matthias Kammowski und Svenja Hansen nach Spuren im Fall Theodor von Hausmann suchen, ist Kammowskis Tochter Charlotte alarmiert. Ihre Mitbewohnerin Toni, die an Multipler Sklerose leidet, vertraut auf dubiose Heilmethoden und taucht schließlich unter.
Spät steigen in diesem Fall die Ermittler in die Geschichte ein, erst im zweiten Teil. Sabine Fitzek lässt sich viel Zeit, die beiden schwer kranken Menschen zu beschreiben, um die es geht, Theodor und Toni, und führt und behutsam ein in deren Gedanken- und Gefühlswelt und ihren Umgang mit einer besorgniserregenden Diagnose. Beunruhigend, emotional und ebenso vielschichtig wie spannend behandelt die Autorin in diesem Band komplexe und brisante Fragen: Wie anfällig für Missbrauch sind assistierter Suizid und Sterbehilfe? Was tun, wenn dubiose „Heiler“ oder hoffnungslose Fanatiker mit der Gesundheit und den Gefühlen kranker Menschen spielen? Manchmal vorhersehbar, aber meist sehr wendungsreich führt Sabine Fitzek auf falsche Fährten, um dann geschickt alle Stränge zusammenzuführen. Mein persönlicher Favorit aus der Kammowski-Reihe!
Über die Autorin:
Sabine Fitzek arbeitete nach dem Medizinstudium an den Universitäten Berlin, Erlangen, Mainz und Jena, wo sie sich im Fach Neurologie habilitierte. Danach war sie mehr als zehn Jahre lang als Chefärztin neurologischer Abteilungen tätig. Heute betreibt sie eine neurologische Praxis in Berlin und schreibt Krimis über gesundheitspolitische Missstände.