René Anour: Die Totenärztin – Vierteilige Reihe um die Gerichtsmedizinerin Fanny Goldmann
René Anour ist nicht nur der Autor medizinhistorischer Romane und Krimis, der ausgebildete Veterinärmediziner arbeitet auch für eine österreichische Behörde, die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES, sowie auf Ebene der Europäischen Arzneimittelagentur EMA als Spezialist für neuartige Medikamente. Nicht nur mit innovativen Arzneimitteln kennt sich der in Wien lebende Autor aus, sondern auch mit den vielfältigen Innovationen, die von der Wiener Medizinischen Schule zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervorgebracht wurden. Diese und die Aufbruchstimmung in der österreichischen Hauptstadt in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, das endlich durchgesetzte Frauenstudium und die ersten Absolventinnen an der Medizinischen Fakultät oder die Fortschritte in der Kriminalistik und der Gerichtsmedizin bilden den Hintergrund für seine vierteilige Reihe um die „Totenärztin“ Fanny Goldmann, die wir in diesem Beitrag empfehlen. Hier geht es zum Interview mit dem Autor.
Ein gemeinsames Fazit zur Reihe: René Anour ist eine hervorragend recherchierte, historisch-authentische und zugleich spannend zu lesende Reihe gelungen. Wer historische Krimis, Medizinkrimis und Krimis um außergewöhnliche Frauen mag, ist mit den Geschichten um die Gerichtsmedizinerin Fanny Goldmann gut bedient. Im Mittelpunkt der vier Geschichten, die man am besten chronologisch liest, weil sie aufeinander aufbauen, steht eine mutige und von der Wissenschaft faszinierte Frau. Sie muss sich in einem beruflichen Umfeld durchsetzen, das der jungen Ärztin wenig zutraut und sie wie eine einfache Hilfskraft behandelt. Mehr oder weniger sympathisch gezeichnetes Personal flankiert die sensible, tüchtige, oft unterschätzte aber sich selbst manchmal überschätzende Protagonistin – vom missgünstigen Vorgesetzten über ihren freundlichen Kollegen Franz, ihre konservative Tante Agathe oder ihren verständnisvollen Vater bis hin zu ihrer besten Freundin Tilde, dem Polizisten Max, mit dem sie mehr als bloß berufliches Interesse verbindet, und schließlich den gefährlichen und unberechenbaren Antagonisten Graf Waidring. Überraschende Wendungen in den Kriminalfällen, eine gekonntes und sprachlich gelungenes Erzälen, detaillierte Schilderungen der gerichtsmedizinischen Arbeitsweise, profunde Recherchen, das sind einige der wesentichen Faktoren, die diese vier Romane zu einer kurzweiligen, aber durchaus auch lehrreichen Lektüre machen.
Band 1: Die Totenärztin: Wiener Blut
Band 1 spielt im Wien des Jahres 1908. Als ein toter Obdachloser in das Institut für Gerichtsmedizin in der Wiener Sensengasse eingeliefert wird, halten Fanny Goldmanns männliche Kollegen es nicht für nötig, dem Toten einen genaueren Blick zu widmen. Das Leben auf der Straße ist strapaziös, ein Toter in dem Milieu scheint ihnen nicht weiter ungewöhnlich. Doch Fanny fallen eine Reihe von Ungereimtheiten auf. Weil ihre Kollegen die Einwände nicht ernst nehmen, obduziert sie die Leiche heimlich in der Nacht. Nicht die beste Idee, denn plötzlich findet sie sich mitten in einer tödlichen Verschwörung rund um einen charismatischen Dieb und Kaiserin Sissis verschwundene Diamantsterne. Ihre Ermittlungen, deren Gefährlichkeit Fanny unterschätzt, führen sie in die Salons und Palais der Wiener Oberschicht genauso wie in die Treffpunkte der Unterwelt. Es gibt mehr Tote, und Fanny entschlüsselt ihre Geheimnisse.
René Anour, Die Totenärztin: Wiener Blut, Rowohlt Taschenbuch 2021, ISBN 978-3499005589
Band 2: Die Totenärztin: Goldene Rache
Auch der zweite Band ist im Jahr 1908 angesiedelt. Je mehr Erfahrungen Fanny Goldmann in ihrem für Frauen ihrer Zeit höchst ungewöhnlichen Beruf sammelt, desto mehr liebt sie die Arbeit am Gerichtsmedizinischen Institut. Viele finden die Vorstellung, an Leichen zu arbeiten – und das noch dazu als Frau – völlig abstoßend und sind verständnislos. Das stört die ehrgeizige Fanny wenig. Ihr nächster Fall gibt ihr ein kompliziertes Rätsel auf. Sie findet eine geheime Botschaft an der Leiche. Ist die für sie bestimmt? Stammt sie vom Mörder? Fanny ahnt noch nicht, dass dieser Mord der Auftakt zu einem Machtkampf zwischen zwei sehr gefährlichen Männern ist. Und in diesen wird nicht nur die neugierige und unerschrockene Gerichtsmedizinerin selbst, sondern auch ein gewisser Gustav Klimt hineingezogen. Der Künstler und sein heute weltberühmtes Gemälde „Der Kuss“ spielen eine Rolle in dem komplexen Fall. Fanny muss unmögliche Entscheidungen treffen, um die Menschen, die ihr sehr nahe stehen, zu schützen.
René Anour, Die Totenärztin: Goldene Rache, Rowohlt Taschenbuch 2021, ISBN 978-3499005596
Band 3: Die Totenärztin: Donaunebel
Ein Jahr später, Wien 1909: Die noch junge Gerichtsmedizin entwickelt sich stetig weiter und kann immer mehr Rätsel lösen. Fanny Goldmann treibt diesen Fortschritt normalerweise mit voran, doch im dritten Fall ist die sonst unerschrockene Ärztin unsicher. Fanny und ihr Kollege Franz werden erstmals zu einem Tatort gerufen, um vor Ort die Leichen zu untersuchen. Obwohl die junge Gerichtsmedizinerin doch einigermaßen abgehärtet ist, geht ihr der Mehrfachmord nahe, den sie und Franz in den dunklen Wäldern der Donauauen auffinden. Sechs Tote, offenbar qualvoll gestorben, doch eine Todesursache lässt sich nicht so rasch eruieren. Das gruselige Rätsel lässt Fanny keine Ruhe, und einmal mehr stürzt sie sich über ihre Kompetenzen Hinaus in Ermittlungen und begibt sich dabei in große Gefahr.
René Anour, Die Totenärztin: Donaunebel, Rowohlt Taschenbuch 2022, ISBN 978-3499009785
Band 4: Die Totenärztin: Schattenwalzer
Auch der vierte Band spielt im Jahr 1909, ein heikler Fall führt Fanny Goldmann auf ein Parkett, auf dem sie sich bisher noch nie bewegt hat. Sie wird mit ihrem Kollegen Franz an die Britische Botschaft gerufen, wo ein Diplomat tot aufgefunden wurde. Die Szene ist einigermaßen delikat, der Mann liegt nackt auf seinem Schreibtisch, umgeben von Rosen. Und obwohl sein Körper Zeichen von Gewalteinwirkung aufweist, hat keiner dieser identifizierbaren Angriffe zum Tod geführt. Fanny kniet sich in den Fall, um das Rätsel zu entschlüsseln. Dabei wird ihr mehr abverlangen als je zuvor, der diplomatische Gentleman bleibt nicht der einzige Tote, mit dem Fanny sich beschäftigen muss. Eines der Opfer steht ihr besonders nahe.
René Anour, Die Totenärztin: Donaunebel, Rowohlt Taschenbuch 2023, 978-3499009792
Zur Person: René Anour lebt in Wien. Er arbeitet bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und ist als Experte für neu entwickelte Medikamente für die European Medicines Agency tätig. Sein historischer Roman „Im Schatten des Turms“ beleuchtet den Narrenturm, die erste psychiatrische Heilanstalt der Welt. Bei Rowohlt ist seine vierteilige Reihe um eine junge Gerichtsmedizinerin in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen.