Neurologin und Krimiautorin Sabine Fitzek: „Ich denke, dass man mit spannenden Geschichten Menschen zum Nachdenken anregen kann“

Dr. Sabine Fitzek ist Neurologin und Krimi-Autorin. Fünf Bände mit dem Berliner Kommissar Matthias „Matze“ Kammowski sind bisher erschienen, in denen Sabine Fitzek hochaktuelle und brisante Themen aus dem Gesundheitswesen spannend aufbereitet und Missstände gekonnt in Krimihandlungen verpackt. Im Gespräch mit Medical Murder Mystery spricht die Medizinerin über ihre Entscheidung, Romane zu schreiben, welche Erfahrungen und Beobachtungen im Medizinsystem sie zum Schreiben inspirieren, welche gesundheitspolitischen Fragen sie für besonders brisant hält – und ob wir mit weiteren Auftritten ihres Ermittlers rechnen können.

Zur Person: Dr. Sabine Fitzek
Sabine Fitzek arbeitete nach dem Medizinstudium an den Universitäten Berlin, Erlangen, Mainz und Jena, wo sie sich im Fach Neurologie habilitierte. Danach war sie mehr als zehn Jahre lang als Chefärztin neurologischer Abteilungen tätig. Heute ist sie Inhaberin einer neurologischen Praxis in Berlin und schreibt über gesundheitspolitische Missstände, mit denen sie unfreiwillig immer wieder in Berührung kam und kommt.
Krimis: Verrat (2019), Verrückt (2020), Verstorben (2021), Vertuscht (2022), Vergänglich (2023), alle erschienen bei Knaur TB

Medical Murder Mystery: Frau Dr. Fitzek, Sie haben in Ihren bisherigen fünf Romanen, in denen der Berliner Kriminalkommissar Matthias Kammowski ermittelt, kaum ein heißes Eisen im Gesundheitswesen ausgelassen: Abrechnungsskandale und die Ökonomisierung der Medizin, die Versorgung psychischer Erkrankungen, Arzneimittelverfälschungen, Morde auf der Intensivstation, Schwurbler oder Sterbehilfe. Sie hätten über Missstände im System, das Sie gut kennen, auch Sachbücher schreiben können. Warum haben Sie sich für das Krimiformat entschieden?

Sabine Fitzek: Beim Thema des ersten Romans „Verrat“, der sich unter anderem mit den Konsequenzen des wirtschaftlichen Drucks in den Kliniken beschäftigt, dachte ich ursprünglich tatsächlich daran, ein Sachbuch zu schreiben. Dies nicht zuletzt auf der Basis meiner persönlichen Erfahrungen. Aber es war mir wichtig, nicht wieder nur Interessierte zu erreichen, die das Gesundheitssystem ohnehin gut kennen, sondern die vielzitierten Normalbürgerinnen und -bürger. Das ist mit einem Roman einfacher zu bewerkstelligen als mit einem Sachbuch. Das Schreiben hat mich immer schon begeistert, mein erster Berufswunsch war, Autorin zu werden, dann kam es aus vielen Gründen etwas anders. Es ist heute für mich eine großartige Erfahrung, auszuprobieren und auszureizen, was mit einem Roman im Vergleich zu Sachtexten alles möglich ist. Dass es Kriminalromane geworden sind, hängt mit den Themen zusammen. Wenn Menschen sich bereichern oder wenn Spitäler ihre Strategien zur Gewinnoptimierung so gestalten, dass nicht alle gesetzeskonform sind, ist das Krimistoff, ebenso wie andere Fragen, die ich aufgreife.

Medical Murder Mystery: Können Krimis dazu beitragen, das Bewusstsein für bestimmte gesellschaftliche Problemlagen zu schärfen?

Sabine Fitzek: Ich glaube, kein Buch kann die Welt verändern. Andererseits denke ich schon, dass man mit spannenden Geschichten Menschen zum Nachdenken anregen kann. Ich habe viel Feedback zu den Krimis bekommen bekommen, auch von Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten. Viele von ihnen fanden, es sei wichtig, dass ich genau diese Themen aufgegriffen habe und dass sie sich mit ihren Erfahrungen im Krankenhaus oder der Praxis in den Krimis wiederfinden. Wir haben, alles in allem, in Deutschland ein großartiges Gesundheitswesen, immer noch eines der besten, davon bin ich überzeugt. Aber es läuft eben auch manches schief. Und ich finde es wichtig, darauf hinzuweisen. Wenn die Menschen das dann lesen und sich die Geschichte mit ihren Erlebnissen deckt, ist das ein wichtiges Zeichen. Sie merken: Mit meiner Beobachtung bin ich nicht alleine.

Medical Murder Mystery: Das positive Feedback auch von Gesundheitsprofis kann ich gut nachvollziehen. Ihre Medizinkrimis kommen bei allen dramaturgischen Kompromissen kundig und differenziert und gar nicht klischeehaft daher, wie es doch manch andere tun. Wenn Sie die sensiblen und wichtigen Themen Revue passieren lassen, die Sie in den fünf Bänden bisher behandelt haben: Welches ist aus Ihrer Sicht, was das reale Gesundheitssystem betrifft, im Moment das brisanteste?

Sabine Fitzek: Ein ganz wesentliches Thema meines Erachtens: Die Gesellschaft muss sich Gedanken machen, wie viel Geld will sie für das Gesundheitswesen ausgeben, was wollen wir uns leisten. In Deutschland ist es leider der erklärte Wille, viele Krankenhäuser tot zu sparen. Dies mit dem Ziel, dass es wenige zentrale Krankenhäuser geben soll, was natürlich für ländliche Strukturen große Probleme schafft. Ich habe vor einigen Jahren eine Chefarztvertretung in einem kleinen Haus gemacht. Auch diese Klinik war vom Schließen bedroht, man hat sie letztlich gerettet, aber einige Abteilungen, unter anderem die Neurologie, aus sogenannten Profitabilitätsgründen geschlossen. Allerdings gibt es dort im Umkreis von 50 Kilometern keine Stroke-Unit. Das heißt, Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall, die in diesem Krankenhaus landen, können nicht auf dem Level des heutigen Kenntnisstandes behandelt werden, weil es keine Neurologin und keinen Neurologen gibt. Natürlich kann man sie grundsätzlich in ein anderes Krankenhaus transportieren, aber de facto passiert das nicht. Das kostet auch Menschenleben.

Medical Murder Mystery: Menschen sterben, weil sie die falsche Postleitzahl haben?

Sabine Fitzek: Man tut immer so, als hätten in Deutschland alle die gleiche Versorgungsqualität, unabhängig vom Wohnort, aber das stimmt einfach nicht. Das wird jetzt schon in Kauf genommen, weil einfach nicht genug Ressourcen vorhanden sind. Wir müssen einen Konsens finden, was wir uns als reiches Land leisten wollen. Diese Frage stellt sich auch angesichts vieler neuer Medikamente. Denken wir nur an die Problematik der neuen Demenzmedikamente. Eines wurde kürzlich in der EU nicht zugelassen, mit der Begründung, es hätte zu viele Nebenwirkungen. Die hat es wohl auch. Aber in anderen Ländern wurden solche Substanzen trotzdem zugelassen. Ich vermute, dass auch die hohen Kosten eine Rolle spielen. Sollen Demenzpatient diese neuen, teuren Medikamente auf Kosten der Allgemeinheit bekommen? Solche Themen müssten viel mehr in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Das betrifft auch das Problem der Pflegeversicherung in Deutschland, die finanziell überfordert ist. Wollen wir daraus wirklich auch pflegende Angehörige finanzieren, und nicht nur professionelle Pflege? Viele solcher Fragen sind nicht ausdiskutiert.

Medical Murder Mystery: In Ihrem letzten Buch „Vergänglich“ greifen Sie das Thema Sterbehilfe und assistierter Suizid auf: Die Aktivitäten der einschlägigen Schweizer Vereine, die Rechtslage in Deutschland, das alles kommt vor. Macht nicht das Problem der knapper werdenden Versorgungsressourcen das Thema noch brisanter? Sterbehilfe, zynisch gesagt, als „günstige“ Alternative zur teuren Versorgung und Pflege?

Sabine Fitzek: Auf jeden Fall, das ist ein ganz kritischer Punkt. Ich höre immer wieder in meiner Praxis von älteren Menschen, man wolle den Angehörigen nicht zur Last fallen. Alte Menschen haben immer weniger Strukturen, die sie auffangen, oder die ihnen das Leben auch lebenswert machen. Das ist ein gesellschaftliches Problem.

Medical Murder Mystery: Wobei Sie im Buch im Sterbehilfefall eine junge Person in den Mittelpunkt stellen, was das Thema auch aus dem Klischee herausholt, es gehe nur um alte Menschen.

Sabine Fitzek: Ja, das war tatsächlich auch die Absicht dahinter, die vielfältigen Facetten zu zeigen.

Medical Murder Mystery: Damit geben Sie auch einen Anstoß, genau hinzuschauen. Und vielleicht zu sehen, dass es nicht nur um das vielzitierte selbstbestimmte Sterben geht, sondern auch um ein erhebliches Missbrauchspotenzial?

Sabine Fitzek: So ist es. Ich halte es auch für ein Problem, dass damit ein Tabubruch erfolgt, dass es gewissermaßen salonfähig wird, ein Leben vorzeitig zu beenden. Und dann werden die Grenzen immer mehr ausgeweitet. Dann ist man auch bei jungen Menschen mit Sterbehilfe zur Hand, deren Depression behandelbar wäre.  Und man ist auch schnell einmal mit der Einschätzung zur Hand, etwas wäre kein lebenswertes Leben. Zumal ja auch immer weniger Menschen ein religiöses Referenzsystem haben.

Medical Murder Mystery: Das wirft die Frage auf, wer entscheiden darf, was ein lebenswertes Leben ist.

Sabine Fitzek: Das hat ein gefährliches Potenzial. Das erinnert mich an Situationen im Krankenhaus, bei schweren Schlaganfällen. Wenn jemand sein Sprachzentrum verliert, ist das dann noch ein Leben? Und hat irgendeine Ärztin oder ein Arzt das Recht zu sagen, wenn deine Sprache weg ist, hast du ja kein Leben mehr und ich rette dich gar nicht erst? Solche Entscheidungen sind im Krankenhaus immer schon gefällt worden und immer auch schon kontrovers diskutiert worden. Eine äußerst schwierige ethische Frage.

Medical Murder Mystery: Ein weites Feld, das Sie im Roman sehr differenziert angegangen sind. Das andere Thema, das Sie im letzten Buch „Vergänglich“ behandeln, ist die Schwurbler-Szene. Manche Passagen und Dialoge erinnern fatal an Verschwörungserzählungen, wie wir sie während der Corona-Pandemie allzu oft gehört haben. Auch wenn es in Ihrem Buch um eine ganz andere Erkrankung geht, das war von Covid inspiriert, oder?

Sabine Fitzek: Ja, natürlich. Aber auch jenseits von Corona müssen wir uns in den Arztpraxen Tag für Tag mit abenteuerlichen Informationen auseinandersetzen, die Patientinnen und Patienten irgendwo online finden. Viele Menschen sind nicht ausreichend geschult, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden. Ich finde es beängstigend, in welchem Tempo sich Falschinformationen verbreiten, und welche Dynamik das bekommt. Erst kürzlich hat mich die Angehörige einer Patientin mit einer Publikation konfrontiert, wonach Demenz angeblich mit Johanniskraut heilbar wäre – und diese Information natürlich unterdrückt würde, weil die Pharmaindustrie dann ja kein Geld mehr verdienen würde. Haarsträubender Unsinn.

Medical Murder Mystery: Zurück zu Ihren Romanen: Wird es eigentlich nach den bisherigen fünf Bänden weitere Fälle mit Kommissar Kammowski geben?

Sabine Fitzek: In diesem Jahr, 2024, wird kein Buch erscheinen. Ich brauchte einfach eine Pause. Es ist schon anspruchsvoll, neben der medizinischen Arbeit jedes Jahr ein Buch herauszubringen, da gibt es auch schwierige Phasen. Aber ich möchte durchaus noch ein brisantes, aktuelles Thema aufgreifen, aus dem Bereich der Pflege. Also wird es dazu möglicherweise noch einen Kammowski-Band geben. Irgendwann geht dann die Reihe aber schon zu Ende.

Medical Murder Mystery: Dann könnte es ja vielleicht eine neue geben?

Sabine Fitzek: Durchaus, warum nicht?

Medical Murder Mystery: Einige Ärztinnen, die Krimis schreiben, haben als Hauptprotagonistin eine Medizinerin kreiert. Sie haben sich für den klassischen polizeilichen Ermittler entschieden. Warum?

Sabine Fitzek: Ich finde es etwas schwierig, wenn Laienermittlerinnen in fremdem Terrain wildern und lauter Dinge tun müssen, die nicht ihre Aufgabe sind. Und sich auch immer rechtfertigen, warum sie ermitteln und Leute befragen. Insofern dachte ich, dass ich die Geschichten konsistenter und glaubwürdiger mit einem polizeilichen Ermittler erzählen kann. Wobei ich dem alten Grummel, der eigentlich ganz nett ist, aber das nicht immer so rüberbringen kann, eine junge dynamische Frau als Kollegin zur Seite gestellt habe. Das fand ich reizvoll.

Medical Murder Mystery: Wir haben über die gesellschaftspolitischen und gesundheitspolitischen Themen gesprochen, die in Ihren Büchern sehr präsent sind. Wie haben Sie es angelegt, um da eine gute Balance zwischen der Krimi-Spannung und diesen Anliegen hinzubekommen?

Sabine Fitzek: Ich denke, das mache ich intuitiv. Beim ersten Buch „Verrat“ habe ich mich stark auf die Fakten, Erfahrungen und medizinischen Sachverhalte konzentriert, und darauf, sie allgemein verständlich zu erklären. Und die Krimi-Geschichte habe ich tatsächlich um sie herum gerankt. Bei den anderen Büchern stand von Anfang an die Krimi-Geschichte im Mittelpunkt.

Medical Murder Mystery: Wie gehen Sie generell vor: Sie sind Sie eine sehr detaillierte Planerin, wenn es um den Plot geht? Oder machen Sie eher eine Grobplanung, und Vieles entsteht dann im Schreiben?

Sabine Fitzek: Je länger ich das jetzt mache, desto mehr zwinge ich mich zum detaillierteren Plotten. Obwohl ich vom Typ her einfach losschreiben möchte, das macht mir totalen Spaß. Aber ich habe gelernt, dass mir die detaillierte Planung hilft, bei der Geschichte zu bleiben.

Medical Murder Mystery: Wir haben viel darüber gesprochen, dass die Medizin, die Neurologie ihre Bücher massiv beeinflusst und inspiriert. Wie ist es umgekehrt, färbt die Tätigkeit als Krimi-Autorin in irgendeiner Weise auch auf Ihre medizinische Tätigkeit ab?

Sabine Fitzek: Eigentlich sehr wenig. Natürlich gibt es Patienten, die mich auf die Bücher ansprechen. Aber im Grunde gibt es wenig Überschneidung. Wenn ich in der Praxis bin, bin ich zu hundert Prozent Neurologin und Psychotherapeutin. Das Schreiben ist ein Ausgleich, weil es so anderes ist als die medizinische Arbeit. Bei der muss man ständig auf die Uhr schauen, in kürzester Zeit aus einem Patienten die Fakten rausbekommen, damit man sich ein Bild machen kann. Und es ist eine hochstrukturierte Arbeit. Beim Schreiben liebe ich es, in einen Flow zu kommen und mich ganz darauf einzulassen.

Interview: Birgit Kofler

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