Maz Evans: Over My Dead Body

Ich gestehe: Eigentlich habe ich gegenüber Krimis, die das Genre überschreiten, eine gewisse Skepsis. Also Krimis, in denen übernatürliche Phänomene zur Aufklärung beitragen oder in denen die Ermittler sich mir ihren im Einsatz gefallenen Kolleginnen unterhalten.  Und ich gestehe auch: „Over My Dead Body“ von Maz Evans hat mich davon überzeugt, dass eine solche Konstellation klug durchdacht und außerordentlich gekonnt erzählt ein großes Lesevergnügen bereiten kann.

Mit dem Ansatz, dass gewaltsam ums Leben Gekommene sich in die Ermittlungen einmischen, hat dieser komödiantische Krimi nicht wirklich ein Alleinstellungsmerkmal, auch hier im Blog haben wir schon Co-Ermittler aus der Geisterwelt vorgestellt. Wie Maz Evans, die als Autorin vor diesem Krimi vor allem mit Kinderbüchern erfolgreich war, mit der Materie umgeht, hat mich überzeugt.

Das Opfer ist zugleich die Hauptfigur – von Heldin zu sprechen, würde es angesichts ihres Charakters nicht ganz treffen. Denn die verstorbene Ärztin Miriam Price, aus deren Perspektive wir die Geschichte lesen, war unbestritten eine gute Medizinerin, aber eine schwierige Persönlichkeit. Dass sie viele Jahre mit einer Alkoholabhängigkeit gekämpft hat, hat wohl auch nicht unbedingt zur Vermehrung ihrer Freundesschar oder Anhängerschaft beigetragen.

Und plötzlich wacht sie auf und ist nicht mehr unter dem Lebenden. „Hallo? Können Sie mich hören? Wahrscheinlich nicht. Ich bin Dr. Miriam Price … und ich bin tot.“ Miriam ist unter mysteriösen Umständen gestorben, selbst hat sie keinerlei Erinnerung an den entscheidenden Moment. Eine Menge Schlaftabletten und Alkohol sprechen für Selbstmord oder eine unabsichtliche Überdosis. Oder hat sie jemand gewaltsam ausgeschaltet? Für den oder die Verstorbene könnte es letztlich egal sein, tot ist tot, könnte man meinen. Aber in Maz Evans Jenseits ist das anders: Wer wegen „Tod durch Missgeschick“ (TDM) hier eincheckt, bleibt so lange im Limbus hängen, bis sein an sich vorgesehenes Sterbedatum erreicht ist. Die Aussicht auf Jahrzehnte in dieser geradezu als Vorhölle gezeichneten Zwischenwelt zwingt Miriam zum Handeln. Dem Limbus entkommen und in die viel erfreulichere Ewigkeit einziehen kann sie nur, wenn sie die Wahrheit über ihren Tod herausfindet und beweisen kann, dass sie ermordet worden ist.

So bleibt Miriam also gezwungenermaßen als geisterhafte Präsenz in der Welt der Lebenden und wird zur treibenden Kraft der Ermittlungen. So geht es also los, oder um mit Miriam zu sprechen: „Wer hätte gedacht, dass das Sterben der langweilige Teil ist? Der wahre Spaß beginnt erst danach.“ Die originelle Perspektive der Verstorbenen erlaubt es Evans, tief in die Vergangenheit und Beziehungen der Ärztin einzutauchen, ihren Charakter zu verstehen, der vielschichtiger ist als es auf den ersten Blick scheint. Leserinnen und Leser erhalten einen intimen Einblick in Miriams Gedankenwelt und ihre persönlichen Kämpfe erhalten. Sie ist nicht nur aufgrund ihrer außergewöhnlichen Situation ein spannender Hauptcharakter, sondern auch durch ihre komplexe Persönlichkeit. Als Geist enthüllt sie Geheimnisse, die sie zu Lebzeiten verborgen hielt, und reflektiert ihre eigenen Fehler und Versäumnisse.

Skurille Charaktere

Eine einfache Übung ist es nicht, als Geist zu ermitteln – wenn niemand einen hören und sehen kann. Mit einer Ausnahme: Menschen, die bald selbst das Zeitliche segnen wird, können die Geister nicht nur wahrnehmen, sondern auch mit ihnen kommunizieren. Genau so kommt Winnie ins Spiel, Miriams verhasste Nachbarin, die sich trotz der langjährigen Feindschaft zu einer unerwarteten Verbündeten entwickelt – eine ebenso geniale wie verrückte Persönlichkeit.

Daneben ist die Geschichte von jeder Menge skurillem, in der Überzeichnung oft ziemlich komischem Personal bevölkert – von Miriams Ehemann, ihrem heimlichen Lover und einem Kollegen in Bedrängnis über eifrige Medizinstudentinnen bis hin zum schwulen BoBo-Bruder der Medizinerin, der ganz im Hausmann- und Vaterdasein aufgeht.

Die Beschreibungen des Krankenhausalltag, medizinischer Verfahren oder der interpersonellen Dynamiken im Klinikbetrieb gelingen Maz Evans gut und authentisch. Ebenso auch die Darstellung all der Herausforderungen an Medizinerinnen und Mediziner im öffentlichen Gesundheitssystem – zumal im notorisch unterdotierten britischen staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Bei aller Komik kommen auch kritische Töne über problematische Versorgungslage nicht zu kurz. Scheinbar ganz nebenbei fängt Maz Evans auch ethische und moralische Dilemmata im medizinischen Alltag ein, sensibel und durchaus glaubwürdig.

Spannung im Plot

Der Plot von „Over My Dead Body“ ist clever und bringt eine Menge unerwarteter Wendungen. Die dramturgischen Probleme, die das Geistsein der Hauptfigur mit sich bringen könnte, löst Maz Evans souverän durch ein in sich plausibles Gebäude von Regularien, die sie für ihre Jenseits erfindet. Zum Beispiel ein ausgeklügeltes System von Farbkategorien, die den Verblichenen je nach Zugehörigkeit unterschiedliche Fähigkeiten verleihen. Oder Möglichkeiten, zwischen Limbus und Erde zu pendeln.

Die Spannung bleibt über die Geschichte durchwegs aufrecht, während Miriam und Winnie sich Stück für Stück der Wahrheit über Miriams Tod nähern – frustrierende Rückschläge inklusive. Dabei gibt es eine beträchtliche Auswahl an Verdächtigen. Die finale Auflösung ist überraschend und erklärt durchaus die offenen Fragen logisch.

Humorvoll und lakonisch

Maz Evans‘ Stil ist ebenso speziell wie die Geschichte selbst. Mit einer lakonischen, schonungslosen und oft respektlosen Sprache gelingt es ihr nicht nur, der rasanten Geschichte Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit zu verleihen. Miriams bissigen Kommentaren und sarkastischen Bemerkungen verleihen dem Buch eine Leichtigkeit und eine humoristische Note, die großes Lesevergnügen bereitet.

„Over My Dead Body“ ist eine erfrischend anders gestrickte Krimikomödie, ein zugleich origineller und spannender Krimi sehnen, der sowohl Herz als auch Verstand anspricht und die Besonderheiten der Medizinwelt ebenso kundig wie gekonnt einfängt. „Urkomisch!“, lobte  zu recht die Tageszeitung The Guardian. Und die Frauenzeitschrift Woman&Home war begeistert: „Manchmal kommt ein Buch daher, das einen daran erinnert, warum man sich in das Lesen verliebt hat. Fantasievoll, witzig und originell … eine absolute Freude!“  Ja, das stimmt. Maz Evans hat mit diesem Buch einen Volltreffer gelandet – hoffentlich kommt da noch mehr nach.

 

Maz Evans, Over My Dead Body, Piper 2024, Übersetzt von: Helmut Krausser, Beatrice Renauer, 448 Seiten, EAN 978-3-492-60665-3

Maz Evans ist die Autorin der Bestseller-Reihe für Kinder „Die Chaos-Götter“ (Who Let The Gods Out).

Ihre Bücher wurden in 22 Länder verkauft und für über 20 Preise nominiert.

„Over My Dead Body“ ist ihr erster Roman für Erwachsene

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